Kapitel 4: Libertarismus und gesunder Menschenverstand

 Inhaltsverzeichnis

Libertarismus in der Organisationsentwicklung


 

Kapitel 4

Libertarisms und gesunder Menschenverstand
Wie Teams im Unternehmen sinnvolle Entscheidungen treffen können

Einleitung

Der Libertarismus ist eine der einflussreichsten politischen,  philosophischen und wirtschaftlichen Strömungen der Moderne. Er steht für die Freiheit des Individuums, die Begrenzung staatlicher Macht und die Betonung von Vernunft und Toleranz. Gleichzeitig ist der Begriff des „gesunden Menschenverstands“ eng mit der Idee der intuitiven und pragmatischen Entscheidungsfindung verbunden. Doch wie passen diese beiden Konzepte zusammen? In diesem Essay wird untersucht, wie der Libertarismus und der gesunde Menschenverstand interagieren, sich gegenseitig ergänzen oder sogar widersprechen können. Und wo liegt der aktuelle Mehrwert in Bezug zur modernen Unternehmensführung?

1. Der Libertarismus: Ein Überblick

Der Libertarismus entstand im Kontext der Aufklärung und der politischen Umwälzungen des 17. und 18. Jahrhunderts. Philosophen wie John Locke, Adam Smith und Immanuel Kant legten den Grundstein für diese Ideologie. Im Kern des Libertarismus stehen Prinzipien wie:

  1. Individuelle Freiheit: Jeder Mensch hat das Recht, sein Leben nach eigenen Vorstellungen zu gestalten, solange er die Freiheit anderer respektiert.

  2. Rechtsstaatlichkeit: Der Staat soll durch Gesetze begrenzt werden, die für alle gleichermaßen gelten.

  3. Freier Markt: Wirtschaftliche Freiheit und Wettbewerb werden als Schlüssel für Wohlstand betrachtet.

  4. Toleranz und Pluralismus: Unterschiedliche Meinungen und Lebensweisen sollen koexistieren können.

2. Gesunder Menschenverstand: Eine Definition

Der gesunde Menschenverstand wird oft als intuitives Verständnis der Welt beschrieben, das auf praktischer Erfahrung und einfacher Logik basiert. Er ist kein streng philosophisches Konzept, sondern vielmehr ein Ausdruck des Alltagsdenkens. Im Kontext politischer und gesellschaftlicher Diskussionen wird der gesunde Menschenverstand häufig als Argument gegen übermäßige Theoretisierung oder ideologische Extreme eingesetzt.

Ein gesunder Menschenverstand kann nicht vermittelt werden, er muss sich entwickeln. Gerade in Unternehmen, wo wir im libertären Kontext Wert auf gemeinschaftlich gestützte Eigenverantwortung legen (-> Werte), ist Vernunft, die unmittelbar mit dem gesunden Menschenverstand verbunden ist, eine wichtige, produktive Größe.

Oft genug erleben wir offenbar sinnbefreite Vorgänge oder Entscheidungen von Politik, Behörden oder Firmen, welche wir jenseits der Vernunft verorten müssen. Diese entstehen nicht bewusst durch planvolle Umsetzung, sondern sind oftmals im Laufe der Zeit entstanden und niemand ist bereit, die Kraft zur Veränderung aufzubringen. Es fehlt der kollektive Verbesserungswille einer Gruppe oder der gesamten Organisation. Dieser Mangel bedeutet die Abwesenheit einer positiven Organisationskultur. Man könnte also durchaus von der Existenz einer Kultur der Vernunft sprechen.

Der gesunde Menschenverstand entwickelt sich immer durch Reflexion des eigenen Handelns. Umso intensiver die Reflexionen, desto besser. Dies geschah in den letzten Jahrzehnten durch den Austausch in der Familie, mit den Geschwistern, Eltern, Onkeln und Tanten, Neffen, Nichten und den Großeltern. Diese vielfältigen, natürlichen Interaktionen der gegenseitigen Lernunterstützung  -jeder hat ständig etwas von anderen gelernt - prägten das sich ständig verändernde Lebensbewusstsein. Begleitet wurde die Prägung durch bestimmte Werte. Das konnten christlich-kirchliche Werte sein, welche die Familie verbanden, aber beispielsweise auch unternehmerische Werte in Handwerkerfamilien. Verschiedene Wertesysteme können/müssen sich dabei überlagern. Die Festlegung auf einen Wert ist genauso tödlich, wie die Festlegung auf eine Identität. (“Bist Du eine Muslima oder eine Deutsche Frau? Entscheide dich!”). In der Familie lernten Junge von Alten und umgekehrt. Im modernen Management würde man das “Reverse Mentoring” nennen. Wer heute keine Kinder oder Enkel hat, die vertrauensvoll bei Fragen des digitalen Alltags unterstützen können, ist verloren. Betrügern ist somit Tür und Tor geöffnet.

Durch den gezielten Eingriff der Politik wurden diese Reflexions-Strukturen bewusst zerstört. Einzelne Tiere, die aus einer Herde herausgelöst wurden, sind schließlich die einfachsten Opfer. Erst werden die Menschen separiert, um die verlorenen Schafe dann wieder hinter Ideologien zu vereinen. Die Werkzeuge der Destruktion sind die Infragestellung traditioneller Familienstrukturen oder das Schüren von Ängsten. Diese dann von den Generationen unterschiedlich bewertet werden und führen zu Streit und Spaltung. Aktuell beobachten lässt sich das bei der sogenannte Klimakrise, oder den durch Scientismus propagierte Ideologien, wie der Coronakrise, durch welchen Freundeskreise und Familienverbände bewusst auseinandergetrieben wurden.

So wurde auch nach der Familie die nächste Ebene zur Entwicklung eines gesunden Menschenverstandes vernichtet: Der Freundeskreis. Darüber hinaus waren die Menschen einmal stolz auf ihre Stadt (“Kölsche Jung”), auf ihre Region (Eifelkind) und auf ihr Land (“Ich bin eine typische Kartoffel!”). Ich habe es im Ausland immer genossen, wenn dort die Menschen unsere sorgfältig hergestellten Produkte respektvoll mit “Made in Germany” beworben haben. Im Ausland wusste man unsere Zuverlässigkeit zu schätzen. 

Für sämtliche Ebenen: Heimatland, Region, Stadt, Freundeskreis und Familie gibt es keinen gemeinsamen, gesunden Menschenverstand (Common sense) mehr - oder zumindest nicht mit einer Vielzahl von Gemeinsamkeiten, wie beispielsweise den christlichen Werten. Gemeinsame Strukturen werden bewusst demontiert, um gehorsame, obrigkeitshörige Marionetten zu züchten, die immer mehr daran glauben, dass ein starker Staat sie aus ihrer eigenen Verantwortung heraus rettet. Was bedeutet das nun für die Organisationsentwicklung?

3. Zielgerichtete Reflexion im Unternehmen

In den wenigsten Organisationen ist eine konstruktive Reflexionskultur innerhalb eines jahrelang geübten Werterahmens vorzufinden. Eine Ausnahme bilden hier inhabergeführte Familienunternehmen oder auch die Bundeswehr. Alle anderen haben keine andere Wahl, als die Entwicklung eines gesunden Menschenverstandes durch die konzertierte Implementierung von zusammenwirkenden Organisationselementen zu fördern. Damit wären wir auch schon wieder beim Thema.

Es sind zum einen klar festgelegte Kommunikationsrituale auf mehreren Ebenen:

  1. Mit dem Lernpartner: Wir kennen das aus amerikanischen Krimis. Die Cops sind immer zwei Partner, die auch durchaus wechseln können. Sie sprechen nicht nur über den Job, sondern über vieles mehr. Im Unternehmen können dies zwei Personen aus unterschiedlichen Abteilungen sein, aber sie müssen sich zwingend regelmässig sehen und über ihre täglichen Herausforderungen austauschen.

  2. Mit dem Supervisor: Die Erkenntnisse der täglichen Arbeit und den Reflexionen des Lernpartners werden mit der Führungskraft ausgetauscht. Dies hat die Aufgabe, die entsprechenden Rahmenbedingungen für weitere Entwicklungsmöglichkeiten zu gestalten und gemeinsame Ziele zu besprechen.

  3. Mit dem  Team: Die größte Herausforderung ist der sogenannte Teamgeist, der sich aus gemeinsamen Werten, Zielen und einer Kultur zusammensetzt. An einer späteren Stelle wird dieses Thema ausführlicher besprochen.

So haben wir zum einen interne Kommunikationsrituale untereinander, aber - wie in der Menschen-Entwicklung auch - muss sich ein “Über ich” entwickeln. Wie sehen wir uns als Unternehmen und als Teil des Unternehmens im Spiegel? Wie schätzen wir unsere Fremdwahrnehmung ein? Hier ist gefühlvolles Marketing gefragt. Das muss nicht teuer sein; es reicht beispielsweise schon eine kleine Hauspostille. Dieses Reflexiv-Marketing spiegelt vor allem den eigenen Leistungsanspruch oder auch Kundenerfahrungen ins Bewusstsein hinein. Wenn man -wie anfangs angedeutet- von schlechten Kundenerfahrungen erfährt, sollte offen und in ganzer Breite darüber gesprochen werden, um dann in einer Customer Experience Journey gemeinsam bessere Prozesse zu entwickeln.

Mit Blick auf einen Technologieaspekt hat sich gezeigt, dass der Mensch im Informationsaustausch auf firmeninternen Foren eine wesentlich konstruktivere Reflexion erfährt, als im internen Email-Verkehr mit unterschiedlichen Verteilern und informellen Einbahnsackgassen.

Um also so etwas wie einen gesunden Menschenverstand im Unternehmen entwickeln zu können, der in der Familie oder im Freundeskreis nicht mehr vorhanden ist, müssen die entsprechenden Strukturen nachgebildet und vor allem (leider) strikt eingehalten werden. Am Rande bemerkt, ist es ratsam, das alte Prinzip von MiKis und KuKis zu beherzigen, nämlich bevorzugt Verwandte und Kinder von Beschäftigten oder Kunden im Unternehmen einzustellen; das funktioniert natürlich nur im freien Unternehmertum.

4. Schnittstellen zwischen Libertarismus und gesundem Menschenverstand

  1. Pragmatismus und Realitätsbezug:
    Der Libertarismus, insbesondere in seiner klassischen Form, ist stark von pragmatischen Überlegungen geprägt. Die Idee, dass Menschen in der Lage sind, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen, basiert auf der Annahme, dass der Einzelne seinen eigenen Interessen am besten dienen kann. Dies entspricht dem gesunden Menschenverstand, der davon ausgeht, dass Menschen intuitiv wissen, was für sie persönlich am besten ist. Dabei gibt es keine Unverträglichkeit mit der Situation als Beschäftigter in einem Unternehmen, denn die Schnittmenge aus eigenem Wohlbefinden und dem Erfolg für das Unternehmen ist motivierend und schenkt Zufriedenheit.

  2. Skepsis gegenüber übermäßiger staatlicher Kontrolle: Der Libertarismus teilt mit dem gesunden Menschenverstand eine grundlegende Skepsis gegenüber übermäßiger staatlicher Kontrolle. Beide Konzepte erkennen an, dass zentralisierte Macht anfällig für Missbrauch ist und dass bürgerliche Freiheiten geschützt werden müssen.

  3. Toleranz und Pluralismus: Der gesunde Menschenverstand erkennt die Notwendigkeit an, unterschiedliche Perspektiven zu akzeptieren, insbesondere in komplexen und diversen Gesellschaften. Diese Haltung ist eng mit dem liberalen Prinzip des Pluralismus verbunden.

  4. Konflikte zwischen Libertarismus und gesundem Menschenverstand: Da wäre zum einen die Abstraktion versus Pragmatismus. Der Libertarismus basiert auf abstrakten Prinzipien, wie der universellen Menschenrechte oder der freien Marktwirtschaft. Diese Konzepte können jedoch manchmal mit den pragmatischen, alltagsbezogenen und oft situationsabhängigen Urteilen des gesunden Menschenverstands kollidieren. Beispielsweise kann der freie Markt in der Theorie effizient sein, während in der Praxis beispielsweise fehlender Vertriebserfolg wieder zur Annäherung an staatliche Quellen führen kann (Solarförderung).

  1. Elitäre Tendenzen:
    Der Vorwurf der elitären Tendenzen von Libertären ist unter anderem auf die selektive Schulbildung zurückzuführen, weil das Schulfach “Wirtschaft” schlichtweg fehlt. Kritiker argumentieren, dass der Libertarismus von intellektuellen Eliten geprägt wird, die komplexe Theorien entwickeln, die aber für den „Alltagsmenschen“ schwer nachvollziehbar sind. Der gesunde Menschenverstand hingegen basiert auf allgemein zugänglichen, einfachen Einsichten. In der Schweiz hat die Bildung traditionell einen höheren Stellenwert, weil ein Land mit dem demokratischen Element der Volksabstimmung auf eine gute Bildung angewiesen ist. Deshalb finden dort auch Wirtschaftsthemen ihren Weg in den Schulunterricht.

  2. Ist Toleranz eine Schwäche?
    Während Libertäre Toleranz und Offenheit als Tugenden betrachten, könnte der gesunde Menschenverstand in bestimmten Situationen dazu führen, klare Grenzen zu setzen, um die soziale Stabilität in der eigenen Umgebung zu wahren. Dies kann insbesondere bei Themen wie Migration, Religion oder kultureller Identität zu Spannungen führen. Dagegen sind die Aufgaben der libertären Staates - nämlich unsere Sicherheit, Freiheit und Eigentum zu schützen- abzuwägen. Wohin die fehlende Umsetzung des eigenen Schutzes führt, ist bei Max Frischs “Biedermann und die Brandstifter” (1948) im damals noch frischen Eindruck der nationalsozialistischen Eugenik nachzulesen.

Fazit

Der Libertarismus und der gesunde Menschenverstand sind keine gegensätzlichen, sondern komplementäre Konzepte, denn beide streben danach, das menschliche Wohl zu fördern. Der Libertarismus bietet eine normative Grundlage, während der gesunde Menschenverstand pragmatische Lösungen für konkrete Probleme liefert. Gesunder Menschenverstand basiert auf Reflexion. Deshalb müssen Unternehmen zielgerichtete Kommunikationsrituale installieren, um einen “Common Sense” zu entwickeln. Dieser kann als gemeinsamer Nenner für einen gesunden Menschenverstand im Sinne des Unternehmens dienen, was dann zur Fähigkeit, selbstständige Entscheidungen in flachen Hierarchien zu treffen, führen kann.


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