Kapitel 5: Unternehmensprinzipien und Werte im Libertarismus

  Inhaltsverzeichnis

Libertarismus in der Organisationsentwicklung


 

Kapitel 5

Unternehmensprinzipien und Werte im Libertarismus Die Abwesenheit von Anarchie und Chaos

Einleitung

Der Libertarismus ist eine politische und philosophische Strömung, die seit dem 17. Jahrhundert die politische Landschaft und das gesellschaftliche Denken in vielen Teilen der Welt geprägt hat. Seine Grundprinzipien wie Freiheit, Individualismus, Rechtsstaatlichkeit und Toleranz haben wesentlichen Einfluss auf die Entwicklung moderner Demokratien genommen. Doch was genau bedeuten diese Prinzipien im Kontext der Organisationsentwicklung und wie werden sie verstanden und angewendet? Dieses Essay untersucht die grundlegenden Prinzipien und Werte im Libertarismus und beleuchtet deren Bedeutung im wirtschaftlich-organisatorischen Kontext.


1. Historische Ursprünge des Libertarismus

Die Wurzeln des Libertarismus lassen sich bis in die Aufklärung zurückverfolgen, einer Zeit des intellektuellen und kulturellen Wandels im 17. und 18. Jahrhundert. Philosophen wie John Locke, Montesquieu und Immanuel Kant legten die theoretischen Grundlagen für den Libertarismus, indem sie sich für individuelle Freiheit, Vernunft und die Begrenzung staatlicher Macht einsetzten.

1.1 John Locke: Der Vater des Libertarismus

Locke argumentierte, dass jeder Mensch von Natur aus mit Rechten auf Leben, Freiheit und Eigentum ausgestattet sei. Diese Rechte seien unveräußerlich und müssten von jeder politischen Ordnung respektiert werden. Seine Ideen beeinflussten später die Entwicklung moderner Verfassungen, insbesondere in den Vereinigten Staaten.

1.2 Die Aufklärung und der Libertarismus

Die Aufklärung betonte die Bedeutung von Vernunft, Wissenschaft und individueller Autonomie. Philosophische Strömungen dieser Zeit legten den Grundstein für den Libertarismus, indem sie die Autorität von Monarchien und der Kirche in Frage stellten und die Bedeutung von Freiheit und Gleichheit hervorhoben.

1.3 Freiheit

Freiheitliches Handeln ist das zentrale Prinzip des Libertarismus. Es umfasst sowohl die individuelle Freiheit als auch die politische und wirtschaftliche Freiheit. Individuelle Freiheit bedeutet, dass Menschen in ihren Entscheidungen und Handlungen frei sein sollten, solange sie die Rechte anderer respektieren. Politische Freiheit schließt Meinungsfreiheit, Pressefreiheit und das Recht auf demokratische Partizipation ein.

1.4 Individualismus

Der Libertarismus legt großen Wert auf den Einzelnen und dessen Rechte. Jeder Mensch wird als autonomes und vernunftbegabtes Wesen angesehen, das die Fähigkeit besitzt, seine eigenen Entscheidungen zu treffen. Dieser Individualismus unterscheidet den Libertarismus von kollektivistischen Ideologien.

2. Im Innenraum von Prinzipien und Werten steht die Kompetenz

Das freiheitliche Prinzip des Libertarismus im Unternehmen besteht zum einen aus freien Verträgen zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Sie sollten nicht durch äußere Vorgaben, wie staatlich verordnete Mindestlöhne und andere gesetzliche Eingriffe eingeschränkt sein. Der Staat soll sich aus derartigen Vereinbarungen heraushalten. Weil dies jedoch in Europa nicht mehr möglich ist, bleibt eigentlich nur die Einrichtung ausser-europäischer Firmen. Kreative Anderslösungen, wie beispielsweise Franchiseverträge mit Arbeitnehmern werden mit hoher Sicherheit behördlich torpediert; da braucht man ein dickes Fell.

Wenn dann freie Verträge geschlossen wurden, folgt der Prozess der täglichen Arbeit im Unternehmen. Diese soll maximal freiheitlich erfolgen.  Natürlich gibt es Menschen, die lieber geführt werden wollen und andere, die gerne Verantwortung übernehmen. Diese Eigenschaften können sich auch im Laufe der Zeit entwickeln. Um Menschen optimal harmonisch zum Einsatz zu bringen, empfehlen sich sogenannte Kompetenzmessungen. Darin geht es um das Handeln einer Person und nicht um deren Verhalten! Aus dem Handeln in der Vergangenheit kann auf das Handeln in der Zukunft geschlossen werden. Schulnoten spielen ein sekundäre Rollen, denn explizites Wissen kann immer vermittelt werden. Doch was hat es mit den sogenannten Sekundärmerkmalen auf sich? Beispiele: Wenn jemand im Chor singt, ist er vermutlich teamfähig. Wenn jemand als Fussballtrainer aktiv ist, kann er vermutlich Verantwortung übernehmen. Durch Kompetenzmessungen können das mögliche Verhalten des Menschen und dessen Neigungen eingeschätzt - nicht bewertet - werden. Daraus kann und muss dann in der Konsequenz die Kompetenzentwicklung erfolgen. Das ist eigengesteuertes, zielgerichtetes Handeln von Teams und Personen. Daraus resultiert die Frage, wie die Ziele und Handlungsräume im Rahmen der libertären Organisationsentwicklung verankert werden können.


2.1 Der Handlungsraum wird durch Werte und Prinzipien bestimmt

Der Libertarismus heisst deshalb nicht Chaotismus, weil er auf gemeinsamen Prinzipien und Werten beruht. In der staatlichen Organisation hat der libertäre Staat für die Sicherheit, die Freiheit und die Sicherung des Eigentums der Bürger zu sorgen. Mehr nicht. Das bedeutet im Zweifelsfall mehr Exekutive - sprich Polizei - , eine schlanke Judikative und eine noch schlankere Legislative. Freiheit bedeutet auch immer die Freiheit der Anderen. Der Schutz des Eigentums heisst, das Eigentum anderer zu achten, was natürlich auch für den Staat gilt. Und die Gewährung von Sicherheit ist nichts anderes als die Einhaltung gemeinsamer Regeln des Zusammenlebens. Im Libertarismus herrscht also kein ungesteuertes oder unüberwachtes Chaos. Vielmehr werden gemeinsame Werte und Prinzipien im Sinne der Vernunft geteilt  (common sense). Was bedeutet das in der Organisationsentwicklung?

2.2 Toleranz

Toleranz ist ein zentraler Wert des Libertarismus, der die Akzeptanz unterschiedlicher Meinungen, Religionen und Lebensweisen fordert. Sie bildet die Grundlage für ein friedliches Zusammenleben in pluralistischen Gesellschaften. Toleranz im Unternehmen kann beispielsweise durch Rollenspiele entwickelt werden. Das Schädlichste ist aggressive Intoleranz. Dort, wo Andersdenkende verfolgt, ausgegrenzt und bedroht werden, herrscht der Totalitarismus - die Vorstufe zur Diktatur. Eine derartige Gesellschaft ist immer gespalten, und das ist politische Absicht. Denn um so extremer die Spaltung ausfäält, desto einfacher wird es, den Ausnahmezustand auszurufen und damit die freie Bahn zur Umsetzung diktatorischer Massnahmen zu schaffen. 

In einem libertären Unternehmen muss deshalb genau das Gegenteil entwickelt werden, nämlich Toleranz und Zusammenhalt, die stärker sein müssen, als der Einfluss von aussen!

3. Werte-Entwicklung in der libertären Organisation

Werte können nicht im Sinne einer Seminarteilnahme entwickelt werden, sondern müssen durch permanente praktische Reflexionen und die Vorbildfunktion der Führungskräfte konsequent entwickelt werden. Ein  Beispiel, wie das nicht funktionieren kann, sehen wir an den sogenannten Einbürgerungstests für Immigranten. Dort wird durch das Auswendiglernen von Standardfragen das erfolgreiche Teilen christlich-westlicher Werte unterstellt. Es entstehen Parallelgesellschaften, die jedes Unternehmen in den Ruin treiben würden; beim Staat dauert das nur etwas länger. 

Deshalb ist die Werte-Entwicklung in der Organisation so wichtig. Wie können Werte entwickelt werden? Das ist in der Theorie etwas komplizierter, aber im Laufe der nächsten Seiten und Kapitel wird sich dieser Vorgang ganz selbstverständlich erschließen und sich dann auch leicht in der Unternehmenspraxis umsetzen.

Ein Kuratorium aus verantwortlichen Stakeholdern im Unternehmen - drei- bis vier Fünftel Führungsverantwortliche und ein- bis zwei  Fünftel aus den Fachbereichen-  muss zunächst die Ziele der Organisation definieren. Diese können sich je nach Grosswetterlage ändern -beispielsweise, wenn äussere Einflüsse dies erfordern (Zölle, Gesetzesänderungen, Demografie). Es kann unterschiedliche Meta-Ziele innerhalb einer Organisation geben. Dies hängt vom Handlungs-Schwerpunkt ab. Wenn zum Beispiel der Arbeitskräftemangel ein grosses Problem ist, dann gibt es in diesem Segment andere Ziele als beim Thema Generationenwechsel der Unternehmensführung. Deshalb haben auch die Werte Kategorien. So werden Meta-Werte geschaffen, die über allen Zielen gemeinsam stehen und andere Werte, die den Handlungsraum für das konkrete Problem  umschreiben. Im vorgenannten Exempel meiner Schaltschrankauslieferung** kann dessen Prinzip “Qualität vor Schnelligkeit” im Bereich der  Software-Entwicklung nicht sinnvoll sein. Dort werden Sprints, Modularität und Agilität erwartet.


3.1 Aufbau und Entwicklung von Werten und Prinzipien


Werte sind die Endstufe eines Entwicklungsweges, der für die Verinnerlichung steht. Erst dann, wenn definierte Prinzipien durch das Durchleben emotionaler Erfahrungen “in Fleisch und Blut” übergegangen sind, werden sie zu gelebten Werten, auf die ein Unternehmen bauen kann.


Deshalb ist die Entwicklung dieser Werte ein permanenter, sich an den aktuellen Bedürfnissen orientierender Prozess. In der Praxis geht die Werte-Entwicklung Hand in Hand mit der Kompetenzentwicklung, der situativen, bedarfsorientierten Personalentwicklung (Der Gegenpol von Seminarbesuchen).

3.2 Gerechtigkeit 

Der Libertarismus strebt eine gerechte Gesellschaft an, in der die Rechte aller Menschen respektiert werden. Dabei unterscheidet er zwischen distributiver Gerechtigkeit (Verteilung von Ressourcen) und prozeduraler Gerechtigkeit (faire Verfahren). Aus der Theorie dieser Axiome lassen sich ebenfalls Prinzipien für Unternehmen ableiten. Das übergeordnete Ziel ist maximale Produktivität bei optimaler Lastenverteilung zwecks Ausfallsicherheit und Fehlerresistenz und transparenten, technologie-gestützten Verfahren und Prozessen. Hier greift der Leitsatz: “Automatisiere, was du automatisieren kannst!”. Es ist immer lohnenswert, Zeit und Energie in die Umsetzung von Automatisierungen aller Art zu investieren, weil nur dadurch steile Skalierungen ohne zusätzlich spezialisiertes Personal machbar werden. Außerdem steigt dadurch der Wert des Unternehmens.

3.3 Verantwortung

Mit Freiheit geht im Libertarismus auch Verantwortung einher. Individuen sollen für ihre Entscheidungen und deren Konsequenzen einstehen, was sowohl persönliche als auch gesellschaftliche Verantwortung einschließt. Auf Unternehmen übertragen bedeutet dies, dass die Führungskräfte eine Situation herstellen, die jede Verantwortungsteilung selbstverständlich mit dem “Dürfen” verknüpfen. Teams und Beschäftigte brauchen Handlungsfreiheiten, um entscheiden zu dürfen. Deren Entscheidungen und Konsequenzen werden streng regelmässig informell geteilt, ohne Fehler zu verteufeln, sondern um Erfolge zu teilen und Fehler zu vermeiden. Verantwortung ist also keine Einbahnstrasse, die von Vorgesetzten eingefordert werden kann, ohne einen fairen Handlungsrahmen bereitzustellen.



Fazit

Im Libertarismus spielen Werte und Prinzipien eine wesentliche Rolle. Libertäre werden beispielsweise immer den Handel einem Krieg vorziehen. Sie glauben an das Prinzip freier Verträge. Im Laufe der Zeit haben sich libertäre Werte durch kontinuierliche Reflexion in komplexen, globalen Netzwerken entwickelt. Der gemeinsame Nenner aller Libertären ist die Ablehnung von Sozialismus und zentraler Planwirtschaft. Das ist beispielsweise ein Metawert. Unternehmen und Organisationen müssen ´sich auf den Weg machen, Werte zu definieren und diese in einigen Jahren bei den Beschäftigten durch gezielte Entwicklungsmassnahmen “in Fleisch und Blut” übergehen zu lassen. Organisationen sind - ähnlich einem Laborbiotop - eine eigene, kleine Welten mit Schnittstellen zu vielen anderen, kleinen Welten, die bestimmte Werte miteinander teilen. Werte bilden den Handlungsrahmen, innerhalb dessen Verantwortung getragen und geteilt wird.

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