Kapitel 6: Management und Führungsstile in libertär geführten Organisationen

   Inhaltsverzeichnis

Libertarismus in der Organisationsentwicklung


 

Kapitel 6

Management und Führungsstile in libertär geführten Organisationen Ein “Legacy-Projekt” mit Charme-Offensive

Einleitung

Der Libertarismus, eine politische und philosophische Bewegung, die sich für individuelle Freiheit, Eigenverantwortung und die Begrenzung staatlicher Eingriffe einsetzt, hat nicht nur die Gesellschaftsordnung, sondern auch die Prinzipien des Managements und der Führung nachhaltig beeinflusst. Dieses Essay untersucht die Führungsstile, die im Kontext des Libertarismus entstehen, und analysiert deren Vor- und Nachteile sowie ihre Anwendung in der Praxis.
Die Fragestellung lautet: Wie wirken sich liberale Werte wie Freiheit, Autonomie und Eigenverantwortung auf Managementpraktiken aus, und welche Herausforderungen ergeben sich daraus für Führungskräfte in modernen Organisationen?

1. Der Libertarismus und seine Prinzipien

Der Libertarismus basiert auf einer Reihe von Grundprinzipien, die seit der Aufklärung entwickelt wurden. Diese umfassen:

  1. Individuelle Freiheit: Jeder Mensch hat das Recht, über sein Leben selbst zu bestimmen.

  2. Rechtsstaatlichkeit: Die Macht des Staates wird durch Gesetze begrenzt, die für alle gelten.

  3. Marktwirtschaft: Der freie Wettbewerb wird als beste Methode angesehen, um Wohlstand und Innovation zu fördern.

  4. Eigenverantwortung: Individuen tragen die Verantwortung für ihr Handeln und dessen Konsequenzen.

Diese Prinzipien haben direkten Einfluss auf die Art und Weise, wie Organisationen geführt werden und wie Managementstrukturen gestaltet sind.

1. Einführung: Was bedeutet Management in libertären Organisationen?

Libertär geprägte Organisationen stehen für Selbstbestimmung, Dezentralisierung von Entscheidungen und eine Minimierung hierarchischer Strukturen. Statt klassischer Top-Down-Befehlswege liegt der Fokus auf Eigenverantwortung, Autonomie und freiwilliger Kooperation. Management fungiert in diesem Kontext deutlich mehr als unterstützende, moderierende Instanz, die Rahmen und Ressourcen bereitstellt, statt detaillierte Vorgaben zu machen. Führungsstile wie Laissez-Faire, Market-Based Management oder verschiedene Formen von Peer Leadership und Servant Leadership sind hier besonders vertreten und unterscheiden sich klar von den meist stark reglementierten, hierarchischen Ansätzen traditioneller Unternehmen.

Bekannte Unternehmensbeispiele libertärer Führung



Unternehmen/Organisation

Land

Besonderheiten/Branche

Libertäre Praxis

Koch Industries

USA

Industrie, Energie

Market-Based Management, Dezentralisierung

Morning Star Company

USA

Lebensmittel (Tomatenverarbeitung)

Radikale Selbstorganisation ohne Chefs

Valve Corporation

USA

Software/Games

Selbststeuernde Teams, keine festen Hierarchien

Spotify

Schweden/Global

Musikstreaming, Tech

„Squads“ mit hoher Autonomie

Buurtzorg

Niederlande

Pflege

Eigenständige Teams ohne klassische Führung

Prospera (Charter City)

Honduras

Stadtentwicklung/Start-up-Stadt

Libertäre Stadt, privat organisiert

Cato Institute

USA

Think Tank

Flache Hierarchien, Dezentralität

Libertad y Democracia

Peru

Entwicklung, Think Tank

Individuelle Landrechte und Eigenverantwortung

Diese Unternehmen verfolgen Modelle, bei denen die Mitarbeitenden ihre Aufgaben eigenverantwortlich steuern, Rollen und Ressourcen flexibel verteilen und die Führung vor allem darin besteht, Hindernisse aus dem Weg zu räumen, statt aktiv zu kontrollieren oder zu delegieren.

2. Für und Wider libertärer Ansätze – Stimmen von Befürwortern und Gegnern

Pro: Was Befürworter schätzen

  • Förderung von Kreativität und Innovation: Mehr Freiräume führen dazu, dass Mitarbeitende neue Lösungswege ausprobieren und Innovationen leichter entstehen. Besonders in Technologieunternehmen und kreativen Branchen wird dies als entscheidender Wettbewerbsvorteil gesehen.

  • Starke Eigenmotivation: Mitarbeitende, die Verantwortung übernehmen können, sind motivierter, lösungsorientierter und oft auch zufriedener.

  • Effizienz und Flexibilität: Ohne starre Vorgaben und langwierige Entscheidungswege wird auf Veränderungen schneller und effektiver reagiert.

  • Weniger Bürokratie: Ressourcen werden auf die Wertschöpfung fokussiert, unnötige Kontrolle entfällt weitgehend.

Contra: Kritische Stimmen und Herausforderungen

  • Strukturmangel und Überforderung: Nicht alle Mitarbeitenden kommen mit viel Eigenverantwortung zurecht; insbesondere neue, unerfahrene oder unsichere Teammitglieder können an fehlender Führung leiden. Es besteht das Risiko von Orientierungslosigkeit oder ineffizientem Arbeiten.

  • Ungleiche Leistungsentwicklung: Ohne klare Anweisungen oder Kontrolle entwickeln sich einzelne Teams oder Mitarbeitende sehr unterschiedlich. Dies kann zu Qualitätsproblemen und internen Konflikten führen.

  • Missbrauch von Freiheiten: Selbstorganisation erfordert Disziplin und Reife. Ohne eine gewisse Kontrolle oder gemeinsame Werte besteht die Gefahr, dass individuelle Freiheiten ausgenutzt werden und die Gesamtorganisation leidet.

  • Abhängigkeit von Unternehmenskultur: Libertäre Prinzipien gelingen insbesondere in Umgebungen mit hoher Qualifikation, intrinsisch motivierten Mitarbeitenden und einer starken gemeinsamen Wertegrundlage. Fehlen diese, treten die Schwächen des Ansatzes stärker zutage.

3. Die Grundlagen der Führung in libertären Organisationen

Das “Sollen” ist immer mit dem “Dürfen” verbunden. Wenn wir von unseren Teams und Mitarbeitern eigenständige Entscheidungen verlangen, dann müssen Führungskräfte die Rolle des Enablers - des Ermöglichers - übernehmen. Deren Rolle konzentriert sich im Wesentlichen auf folgende Bereiche:

a. Kontinuierliche, kompetenzorientierte Personalentwicklung.
b. Einsatz von Systemen, durch welche die Entscheidungsvorgänge transparent und nachvollziehbar werden.
c. Die lebende Entwicklung von Werten als Handlungsraum für alle, wobei ein Kernwert immer bleibt: Die Gewinnoptimierung.
d. Etablierung von strikten, interdisziplinären Reflexionsritualen

Prinzipiell funktioniert eine libertär gestaltete Organisation auch ohne Führungskräfte, wie die genannten Beispiele von Softwareunternehmen oder wie die Organisation von Handwerksgenossenschaften beweisen. Auch die Open Source Communities arbeiten libertär organisiert. Nur dass hier der monetäre Gewinn durch eine Befriedigung primär in Form von gruppenaffiner Anerkennung erfolgt. Ein ähnlich solidarisches Schwarmverhalten findet sich auch in der Bitcoin-Community.

Auf Basis dieser Überlegungen ist es die Kernaufgabe von Führungskräften in libertär orientierten Organisationen, sich im Prinzip selbst überflüssig zu machen. Der Umbau eines bestehenden Unternehmens in eine libertäre Organisation ist ein wirkmächtiger Paradigmenwechsel, der - je nach Größe- drei bis fünf Jahre in Anspruch nehmen kann.
Dieses Projekt ist in seiner Dimension ein “Legacy-Projekt”. Der Vorteil: Es ist grundsätzlich möglich, ein Team nach dem anderen mitzunehmen und umzustellen. Das Management muss allerdings immer den Anfang machen! Der Lohn ist gewaltig. Es winken beispielsweise hohe Flexibilität bei Marktveränderungen, gewaltige Innovationskraft und Kostensenkungen in der Verwaltung.

In einer Studie der Hochschule für Exzellenz 2024 konnte durch eine detaillierte Befragung von 225 Unternehmen in den DACH-Ländern eine klare Korrelation zwischen Innovationsbereitschaft und Fachkräftemangel festgestellt werden. Der zweite Wortteil “Bereitschaft” bringt - im Gegensatz zur “Fähigkeit” - den Willen, eine Fähigkeit zur Umsetzung zu bringen, zum Ausdruck. Worthülsen und Lippenbekenntnisse sind toxisch für das Betriebsklima. Das kann ein Unternehmen noch so viel in Hochglanzbroschüren schreiben und auf seinen Webseiten posten: Wenn diese Versprechungen im Alltag nicht gehalten und gelebt werden, ist die Fachkraft schnell wieder weg.

In der konsequenten Betrachtung dieser Erkenntnisse entsteht die Handlungsempfehlung, permanente Weiterentwicklungen als festen Teil der Unternehmenskultur zu verankern. Weil Veränderungen vom Management alleine nicht zu stemmen sind, müssen die Mitarbeiter in libertär organisierten Unternehmen konsequent aktiv eingebunden werden. Dies geschieht durch konsequente Weiterentwicklungsrituale über die gesamte Dauer des Arbeitslebens.

Kontinuierliche, kompetenzorientierte Personalentwicklung

Das alte Motto “Mitarbeiter finden und binden” impliziert auch die individuelle, situative/informelle, selbstbestimmte und kompetenzorientierte Entwicklung von Mitarbeitern und Teams. Das Format “Seminar” ist tot. Das anglizistische HR-Development ist der aussagekräftigste Begriff, für den es im Deutschen keine einfache Übersetzung gibt. “HR” steht für Ressourcen. Das können Menschen, Teams oder hybride Leistungseinheiten sein.

Im Klartext bedeutet dies, dass neben dem erklärten Willen, Personalentwicklung konsequent in den Business-Prozess zu integrieren, auch entsprechende IT-Systeme und Reflexionsprozesse bereitgestellt werden müssen, damit die selbstgesteuerte Entwicklung funktionieren kann. Ein Beispiel:

Team X bekommt die Aufgabe, die Kosten und Abhängigkeiten in der Produktion von Kühlschränken durch Automatisierung zu optimieren, weil die Mitglieder in Team X grundsätzlich die besten Voraussetzungen dafür mitbringen. Nachdem das Team sich auf die Rollen verständigt hat, muss sich jeder zügig und effizient auf die Umsetzung seiner Ziele vorbereiten. Zum Einen informiert sich das gesamte Team über die Vielfalt der Möglichkeiten in der Automatisierung, um dann eigene Entwicklungen voranzutreiben, mit denen die einzelne Rolle optimal ausgefüllt werden kann. Dazu identifiziert das Team und jedes einzelne Mitglied den Weiterbildungsbedarf in Abstimmung mit dem Team. Ein Genehmigungsprozess durch die Führungsinstanzen entfällt.

Damit das Ganze funktioniert, wird neben Entwicklungsreflexionsritualen vor allem eine saubere Infrastruktur benötigt. Im Kern steht immer - wie bereits erwähnt- ein gut ausgewähltes Wissensmanagement-System mit angeschlossenem Learning Management System. Es gibt sogar Lösungen, die auch noch digitalisierte Mitarbeitergespräche integriert haben, wobei dort auch die Lernaktivität automatisch erfasst werden kann. Die Einschätzung von Mitarbeitern durch die Führungskraft erfolgt nämlich auch nach den Kriterien, wie aktiv Informationen im Wissensmanagement geteilt wurden (Sharing activity) oder wie intensiv die eigene Entwicklung im Learning Management System (LMS) ablesbar ist. Diese IT-Systeme sind das Cockpit für libertäre Führungskräfte. Denn Wissensmanagement ist weit mehr als ein statisches Wiki, sondern vielmehr ein dynamisches Workflow-Tool.

Die Lernsysteme werden mit zukaufbaren Standardinhalten und -terminen befüllt. Aber zusätzlich wächst das Angebot durch die permanente Erstellung eigener Inhalte, weil jede neue Erkenntnis in der Organisation sofort digital festgehalten und teilbar wird. E-Learnings lassen sich mittlerweile ohne Vorkenntnisse durch KI-Systeme - beispielsweise aus Präsentationen und Dokumenten selbst erstellen. So wächst der Fundus des Know Hows im Unternehmen ständig. Damit erhöht sich gleichzeitig der Unternehmenswert, weil das Vorhandensein von Know-How eine aktivierbare Bilanzposition darstellt, vor allem beim IFRS - dem International Financing Reporting Standard. Das kann man ohnehin  nur jedem Unternehmen empfehlen, weil sich dadurch mehr und höhere Assets abbilden lassen als beispielsweise nach dem deutschen Bilmog.

Die Inhalte eine LMS bestehen beispielsweise aus:

  • E-Learning

  • Videotutorials

  • Virtual Reality Trainings (Simulationen)

  • Augmented Reality Trainings (Sicherheitsschulungen, technische Handhabungen)

  • Prüfungsvorbereitungen

Die Nutzung virtueller Erlebnisse ist in besonderem Maße wichtig, weil sich dadurch emotionales Erfahrungswissen (Kompetenz) entwickeln lässt, ohne in der echten Welt Gefahren ausgesetzt zu sein. Ein typisches Beispiel wäre ein Flugsimulator.

4. Libertäre Modelle als Erfolgsbasis moderner Organisationen

Die Praxis bestätigt: Libertär geführte Unternehmen bieten enorme Chancen für Innovation, Effizienz und Mitarbeitermotivation. Trotz Herausforderungen bei Struktur, Steuerung und der Ansprache weniger selbstständiger Mitarbeitender zeigen zahlreiche Beispiele – von Koch Industries über Morning Star bis hin zu Spotify oder Prospera in Honduras –, dass sich mit einer passenden Unternehmenskultur und gezielt unterstützenden Führungsimpulsen herausragende Ergebnisse erzielen lassen. Selbst in hochregulierten Sektoren wie der Pflege oder Technologie zeigen solche Modelle nachhaltige Wirkung, steigern die Mitarbeiterzufriedenheit und erhöhen die unternehmerische Anpassungsfähigkeit signifikant.

Libertär geprägte Führung ist kein Universalrezept, aber sie kann – richtig umgesetzt – entscheidende Impulse für die Zukunft erfolgreicher, innovativer und resilienter Organisationen liefern.

Die Einsamkeit der Erfolgreichen

So mancher Unternehmer oder Manager wäre erstaunt, wie viele Gleichgesinnte es gibt, die ebenfalls libertär denken und gerne auch handeln wollen. Im Alltag fehlt einem persönlich oft genug die Kraft, gegen Widerstände aus den linken Lagern zu kämpfen. Oder auch die Angst, frei libertär argumentieren zu dürfen ohne gleich als “Kapitalistenschwein” oder “rechts” eingeordnet zu werden. Diese Momente sind wirkliche Energieräuber. Die Energie wird aber benötigt, um eine Organisation erfolgreich zu machen und den mitarbeitenden Menschen Wohlstand und Sicherheit zu ermöglichen.

In erster Linie müssen alle Beteiligten den Sinn und das Ziel des Projektes verstehen. Die Führung muss auf die Ängste und Bedenken vorbereitet sein. Zudem soll jeder einzelne seine optimale Rolle in der Organisation finden und ausleben können. Deshalb stehen am Anfang des Projektes die Kompetenzmessungen der Teams und jedes Einzelnen - das Top Management immer vorausgehend und öffentlich über seine Erfahrungen berichtend.

Wenn beispielsweise ein Sales Manager aus seiner Erfahrung berichtet: “ Ich dachte immer, dass Sales-Leute mit optimalen Kommunikations-Kompetenzen die Besten sind und musste feststellen, dass “konsequentes, beharrliches Handeln” mindestens ebenso wichtig ist - so auch bei mir. In meiner Handlungsempfehlung habe ich nun ein Projekt bekommen, mit dem ich konsequentes Handeln trainiere und tausche mich darüber mit meinem Lernpartner und meinem Team aus.

Deshalb ist es so wichtig, sich mit anderen Libertären zu vernetzen, um Reflexion zu erfahren. Dies geschieht am besten in libertären Netzwerken. Die Hayek-Gesellschaft e.V. ist beispielsweise aus der Arbeitsgemeinschaft selbständiger Unternehmer (ASU) - heute “Die Familienunternehmer” - hervorgegangen. Die Hayek Gesellschaft unterstützt circa vierzig lokale Hayek Clubs in verschiedenen Städten.

5. Fazit und Ausblick

Liberale Führungsstile bieten viele Vorteile, insbesondere in Bezug auf Motivation, Innovation und Flexibilität. Gleichzeitig erfordern sie ein hohes Maß an Kommunikation, Vertrauen und klaren Zielvorgaben, um erfolgreich zu sein. Die Balance aus Prozess-, Kommunikations- und Organisationsritualen mit sinnvollen IT-Systemen ist gut planbar. Die Umsetzung ist ein erfolgreiches Legacy-Projekt mit starker Wirkung, auch nach aussen. Das System ist relativ einfach, weil über jede Entscheidung einfach die Schablone der libertären Grundsätze gelegt werden kann. Es bleibt wichtig, die Balance zwischen Freiheit und Handlungsraum im Blick zu behalten, um langfristigen Erfolg sicherzustellen.



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